Jesus und Johannes
Jesus und seine Jünger waren den ganzen Tag durch die Stadt gezogen. An diesem Tag vor dem Fest war viel los gewesen in Jerusalem. So viele Fremde waren gekommen. Alle hatten noch Besorgungen zu machen. Man trat sich oft einander auf die Füße.
Es war unmöglich, im Gewühl auf das zu achten, was da alles auf der Straße lag. Die offenen Sandalen schützten einen nur wenig. Manchem passierte es, dass er unversehens in eine Tonscherbe trat. Dazu lag viel an Eselsmist auf dem Pflaster. Immer wieder tappte man da hinein.
Jetzt war man rechtschaffen müde. Thomas hatte schon gesagt. „Lieber zehn Tage hintereinander den langen Weg von Kapernaum nach Nazareth und wieder zurück, als ein Tag in Jerusalem auf den Beinen.“
Aber noch sollte es nicht zum Schlafen in den Garten Gethsemane gehen. Es stand ja das Passahfest bevor. Sie waren ganz erstaunt, wie großzügig ihr Meister heute war. In einem ganz feudalen Haus hatte er einen Raum gemietet. „Es ist für mich etwas ganz besonderes, dass ich mit euch heute in Jerusalem das Passahfest feiern darf. Ich habe seit langem eine richtige Sehnsucht danach“, so hatte Jesus am Morgen gesagt. Alle waren gespannt, wie das werden würde.
Jetzt gingen sie gerade die Wendeltreppe zu dem Raum hinauf, wo das Abendessen zubereitet war. Da tat sich bereits die Tür zu dem hell erleuchteten Saal auf. Petrus war schon hinein gestürmt. Einer der nächsten war Johannes. Unbändig hatte er sich nach der Ankündigung Jesu auf diesen Abend gefreut. Einen Abend ganz allein mit Jesus und den anderen Jüngern. Gerade wollte er durch die Tür eintreten. Da entdeckte er am Eingang eine Schüssel, eine Kanne mit Wasser und Handtücher.
In Sekundenschnelle schoss es ihm durch den Kopf: Es ist ganz klar. Wenn wir nicht die Füße gewaschen bekommen, fühlen wir uns nach diesem Tag in der Altstadt heute bei der schönsten Feier nicht wohl. Wo ist denn bloß der Sklave, der in diesem haus das tun müsste? Immer dasselbe mit diesen faulen Jungen!
Bei Johannes überschlugen sich die Gedanken: Wer soll es dann machen? Ich? Die Frage bohrte sich in ihm fest. O ja! Dem Meister würde er gerne die Füße waschen. Für ihn würde er alles tun. Aber er wusste, was dann kam. Jesus würde sagen: Wenn du mich lieb hast, dann hast du meine Jünger auch lieb. Und dann wäre Johannes der Dumme und müsste reihum diese dreckige Arbeit tun. „Nein, nein, nein“, so tönte es in ihm, „Ich tu das nicht; ich kann das nicht; und ich will das nicht!“ Es hatte nur einen Moment gedauert, als Johannes die Schüssel entdeckte und am Eingang zögerte. Gut, dass keiner ihn beobachtet hatte. Sonst hätte er gewusst, was in ihm vorgegangen war, so meinte er.
Aber Jesus war traurig. So lange hatte er mit seinen Jüngern zusammen gelebt. Und keiner hatte verstanden, was bei ihm Liebe bedeutet. Aus seiner Traurigkeit wurde ein Entschluss: Noch einmal wollte er seinen Jüngern seine Liebe zeigen.
Jesus und Petrus
Inzwischen hatten sie sich alle zu Tisch gelegt. Alle waren erstaunt über den wunderschönen Raum. Oh, ihr Meister war kein Verächter von schönen Feiern. Davon verstand er etwas. „Ob man das wohl alles bezahlen kann?“, dachte Judas: „Holzgetäfelte Wände, Kronleuchter, weiche Polster, ein schön gearbeiteter Tisch.“ Auf den weißen Decken standen die Schalen mit Obst, große Körbe voll von knusprigem Brot. Teller mit Hähnchenschenkel standen da. Der Wein funkelte in den Kannen. Die Jünger kamen sich vor wie Herren. Immer wieder schauten sie sich um.
Und doch konnten sie das alles nicht richtig genießen. Johannes schon gar nicht, aber auch bei den anderen kam keine Stimmung auf. Jesus sagte kein Wort. Einer hatte ein Tischgebet gesprochen, aber es klang hölzern und pflichtgemäß. Hin und wieder hatte einer aus Verlegenheit nach den Trauben oder nach den Brotstückchen gegriffen. Was war bloß los? Man schaute sich an und man schaute wieder weg. „Jetzt fehlt nur noch die Bedienung“, hatte Jakobus gesagt. Und einige antworteten mit einem gekünstelten Lachen.
In einem Moment, wo alles beklemmend still war, geschah es. Der Meister stand auf und ging zum Eingang. Dort legte er sein Obergewand ab. Er bückte sich – alle waren wie erstarrt – dann nahm er die Handtücher, schüttete Wasser in die Schüssel und kam mit der Schüssel zurück. Wie selbstverständlich kniete er bei dem ersten nieder und wusch ihm seine dreckigen, stinkenden Füße. Der saß da wie versteinert.
Dann kam der Nächste an die Reihe. Keinen ließ Jesus aus. Die Füße waren alle gleich dreckig. Alle hatten es nötig. So penetrant roch es in dem Raum.
Auch Johannes regte sich nicht, obwohl man es ihm ansah, dass er traurig war. Innerlich weinte er vor Beschämung. „Hätte er es doch getan. – Er hatte genau gewusst, dass er zupacken sollte. – Im Grunde hätte er sich ja auch nichts vergeben. – Aber jetzt war es zu spät. – Nein, nie mehr wollte er ungehorsam sein, wenn er so klar die Stimme seines Gewissens hörte.“
Aber als Jesus zu Petrus kam, war es aus. Wie von einer Wespe gestochen fuhr Petrus hoch: „Du willst mir die Füße waschen? Das kommt nicht in Frage. Du hast anderes und wichtigeres zu tun. Wenn das bekannt wird, dass wir das zugelassen haben, steht deine ganze Sache blamiert da. Was sollen die Leute von uns denken? Sie werden spotten: Ein schöner Herr!“
Jesus schaute ihn fest an. Vor diesen Augen wurde Petrus immer ganz weich. Da fühlte er sich bis ins Innerste durchschaut. Warum war er gerade so aufgebraust? Auch ihm war doch der Gedanke gekommen: Sollte es nicht einer von uns tun? Er fühlte sich schuldig. Wie schlecht war er! Warum hatte er den Gedanken so schnell verworfen? Jetzt saß er da als der Beschämte.
Er überspielte seine Trauer mit Eifer: „Herr, wenn du mich waschen willst, dann nicht nur die Füße, sondern auch die Hände und den Kopf. Überall habe ich es nötig.“ „Nein“, sagte Jesus, nur die dreckigen Füße. Alles andere ist jetzt nicht nötig.“ Und er tat an Petrus, was er an ihm tun wollte.
Jesus und Judas
Es dauerte lange, bis Jesus fertig war. Nichts trieb ihn. Was er tat, das tat er gründlich. Jedem einzelnen wollte er sich ganz persönlich zuwenden. Er kannte sie alle. Bei jedem war die erste Begegnung wieder anders gewesen. Jeder war für ihn ein besonderes Geschöpf Gottes. Eigentlich machte es Freude, solche jungen Männer von Schmutz und Blut und Schweiß zu befreien.
Alles, was sie belastete, aller üble Geruch, der ihnen anhaftete, sollte von ihnen genommen werden. Oh, es war keine böse, langweilige Arbeit, die Jesus tat. Sicher waren die Jünger verdutzt. Aber sein Kopf und sein Herz waren bei jedem Einzelnen voller reicher Gedanken. Schade dass keiner der Jünger selbst es getan hatte. Sie kannten sich doch inzwischen gegenseitig so gut.
Aber Jesus dachte kaum noch an die Vergangenheit. Sein Blick ging voraus. Es würde schwer werden. Aber diese jungen Menschen und viele mit ihnen würden den Weg des Gehorsams gehen und Lichter in der Welt sein, ganz so, wie der Vater im Himmel es sich gedacht hatte. Fast geriet Jesus ins Träumen. Aber dazu war jetzt keine Zeit. Jetzt war Judas an der Reihe.
Legte er sich nicht besonders selbstgefällig auf sein Polster? Streckte er ihm nicht geradezu behäbig seine Füße hin? War nicht auf seinem Gesicht ein Anflug von Spott, als wollte er sagen: „Aber bitte, Meister, wenn du Messias sein willst, dann musst du dich wirklich anders benehmen.“
„Oh, wenn ich an diesen Menschen heran käme. So stark hat er sich in sich zurückgezogen. Judas, weißt du, was du tust? Kennst du den, der dich in seinen Klauen hat? Wenn du wüsstest, wie todunglücklich und verzweifelt du sein wirst. Du bist verloren! Nur merkst du es noch nicht. Aber ich werde dich nicht mit Gewalt von deinem Weg abbringen. Du bist ein Mensch! Du kannst als Mensch mit deiner Freiheit machen, was du willst.
Monate-, jahrelang hast du mich erlebt und meine Worte gehört. Warum vertraust du mir nicht? Warum stellst du deine Gedanken und Gefühle über meine? Warum lässt du mich nicht Herr und Meister sein?“
Jesus war, als er sich zu Judas hinkniete, voller trauriger Gedanken. Ein Funke Hoffnung war noch in ihm. Nur seine Liebe konnte ihn noch überwinden. Er wollte seinen Jünger nicht abschieben. Jesus selbst wollte den Judas nicht in die finstere Nacht hinaus stoßen.
Jesus hatte auch Judas in die Augen geschaut. Aber jetzt war seine ganze Aufmerksamkeit auf seine Füße gerichtet. Wie gut musste den müden Füßen das frische Wasser tun. Ganz sauber wusch Jesus die Haut. Sorgfältig ging er in die Zwischenräume zwischen den Zehen. An einigen Stellen rieb er kräftig, bis der Dreck abging. An anderen Stellen entdeckte er Blut und Krusten und Wunden. Da war er besonders behutsam. Und zum Schluss rieb er die Füße trocken und warm.
Noch einmal schaute Jesus auf, als wollte er sagen. „Warum lässt du dich nicht erweichen? Deutlicher kann ich dir nicht zeigen, dass ich der Heiland bin. Du hast dich verrannt. Ganz bitter wirst du es bereuen.“ Dann stand Jesus auf und wendete sich den letzten seiner Jünger zu.
Die Geschichte von der Fußwaschung schließt mit einem Geheimnis. Gerade wer sich so dienen lässt und wer so zum Dienen bereit ist, der hat teil an der Lebens- und Liebesgemeinschaft zwischen Jesus und seinem Vater im Himmel. Die Geschichte von der Fußwaschung geht weiter. Immer wieder kniet Jesus bei Menschen nieder und reinigt sie. Er spricht dabei mit ihnen und streitet mit ihnen, damit sie ganz gewonnen werden. So zeigt er uns, dass er uns erwählt hat und liebt. Noch heute gilt: „Wer aufnimmt, wenn ich jemanden senden werde, der nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat.“
Es gibt eine Lebens- und Liebesgemeinschaft zwischen Jesus und seinen Jüngerinnen und Jüngern. Und es gibt eine Lebens- und Liebesgemeinschaft zwischen Jesus und Gott. Was damals am Gründonnerstag geschah, das ist grundlegend wichtig. Diese Liebes- und Lebensgemeinschaft mit Jesus und Gott und untereinander ist das Wesen der Kirche. Konfirmation bedeutet: Ich entdecke das und lerne es, in meinem Leben fest damit zu rechnen. Amen.