Integration

Wie verhalten sich Bürgerinnen und Bürger des Staates und Mitglieder der Kirchen zu dem Miteinander der Religionen  

Eindrückliche Begegnungen

Zunächst sechs Punkte zu dem Miteinander von Juden, Christen und Moslems, also von Menschen, denen ihr Glaube wichtig ist, die aber zu drei verschiedenen Religionen gehören:

Erstens: (eine Christin) Nur wenigen Moslems bin ich bisher intensiver begegnet. Aber zwei Geschichten kenne ich, die es in sich haben. Die eine: Zu den Mitgliedern in meiner Siegener Gemeinde gehörte eine alte Frau. Eine ihrer Töchter ließ sich als Krankenschwester ausbilden und ging – etwa um das Jahr 1960 – nach London. Dort lernte sie einen Arzt aus Pakistan kennen, der sie unbedingt heiraten wollte und geheiratet hat. Bald folgte sie ihm nach Saudi-Arabien; er hatte eine Stelle im Königspalast bekommen. Wenige Jahre später zog dieses Ehepaar in das Heimatland des Mannes. Er wurde Arzt in der Armee und machte Karriere. Zugleich lebte diese junge Familie in engem Kontakt mit seiner Großfamilie. Die junge Frau aus dem Siegerland musste zustimmen, dass ihre Kinder islamisch erzogen wurden; der junge Ehemann erlaubte seiner Frau, sich eine christliche Gemeinde zu suchen, in der sie dann ein verlässliches Gemeindeglied wurde. Erstaunlich finde ich, dass Jahre später die islamische Schwiegermutter, als sie bettlägerig wurde und bis zu ihrem Tod gepflegt werden musste, nur ihre christliche Schwiegertochter in ihr Zimmer ließ. Von ihr wollte sie gepflegt werden bis zuletzt. Dieses Ehepaar hat sich geliebt, und ihre Liebe hat bis heute – wenn sie nicht gestorben sind – gehalten.

Nun die andere: (ein Muslim) Vor etwa dreißig Jahren kam ich bei meinen Besuchen im Krankenhaus in das Zimmer eines Mannes, der ein Reisebüro leitete. Ziemlich bald sagte mir dieser Mann, dass er aus der Kirche ausgetreten, aber zum Gespräch mit mir bereit sei. Aus dem Gespräch ist mir folgendes in Erinnerung: Er war aus beruflichen Gründen öfter in Tunesien und hatte dort Freunde. Wieder einmal saß er an einem warmen Abend mit einem dieser Freunde auf der Terrasse vor dessen Haus; er trank Bier und Schnaps, der andere nur Wasser. Der Deutsche provozierte: „Immer nur Wasser! Trink doch mal was Richtiges.“ „Nein, das verbietet mir meine Religion!“ Der Deutsche stichelte weiter. Schließlich fragte der Tunesier zurück: „Was glaubst du eigentlich?“ Die Antwort war: „Ich glaube an gar nichts.“ Darauf der Moslem: „Siehst du dahinten meine Kamele? Die fressen, die scheißen, und die glauben auch an gar nichts.“ Der deutsche Reiseleiter erzählte mir das so. Ich habe ihn nie wieder gesehen, zog auch nach einigen Jahren weg aus diesem Ort. Aber dann wurde ich hier wieder in eine Pfarrstelle gewählt. Eines Tages buchte ich in dem Reisebüro dieses Mannes eine Reise und traf auf seinen Schwiegersohn. Ich war so frei und habe ihm die Geschichte von vor Jahren erzählt. Dieser erwiderte: „Mein Schwiegervater lebt im übernächsten Dorf; übrigens ist er Christ geworden. Auf einer Wochenendpartie in einem großen Haus entdeckte er eine Bibel, las sich fest, wurde bewegt von dem, was Gott ihm zu sagen hatte, und trat einer Freikirche bei.“ Natürlich habe ich zum Telefonhörer gegriffen und mir dies alles von diesem Mann selbst erzählen lassen. Ich bin überzeugt, dass der fromme Moslem in Tunesien ihm einen kräftigen Anstoß zu dieser Lebenswende gegeben hat.)

Im Jahre 2006 gab die Evangelische Kirche in Deutschland die Handreichung: „Klarheit und gute Nachbarschaft“ zum Umgang mit Menschen islamischen Glaubens heraus. Zu einem von Offenheit geprägten Gespräch und zu gut nachbarschaftlichen, ja, freundschaftlichen Kontakten mit Moslems bin ich bereit. Juden und Christen sollen Muslimen so gastfrei begegnen, wie es die Bibel gegenüber dem „Fremdling, der in deinen Städten lebt“ (5. Mose 31,12) fordert. Es ist auch keine Frage, dass unser öffentliches Leben bunter, charmanter und vielfältiger geworden ist, nachdem wir einen Zustrom an Menschen aus anderen Ländern und Kontinenten erlebt haben. Inzwischen sind viele Moscheen gebaut worden. Manche von ihnen beeindrucken in ihrer ästhetischen Eleganz.

Selbstverständlich dürfen Menschen, die zu uns noch fremden Religionen gehören, ihre Gotteshäuser in unserem säkularen Staat bauen. Es ist auch nicht zu leugnen, dass Menschen mit einem Migrationshintergrund nicht nur aus unseren Sozialkassen unterstützt werden, sondern auch aufgrund ihrer hier in unserem Land geleisteten Arbeit kräftig in diese Sozialkassen einzahlen. Dazu leben unter uns inzwischen viele jüngere Menschen, die in anderen Ländern ihre Wurzeln haben; sie sind aber hier geboren und wurden hier gut ausgebildet, haben viel Selbstbewusstsein entwickelt, sehen dieses Land als ihr Land an, sind Bundesbürger geworden und wollen unser Land tatkräftig mitgestalten.

Wie viele Frauen und Männer im Judentum und Christentum fragen unter den Muslimen viele ehrlich nach Gott

Zweitens: Ich finde es gut, dass mit den 4,9 Millionen Muslimen in unserem Land hunderttausende Menschen gekommen sind, die nach Gott fragen. Sie möchten seinen Willen kennenlernen und sind bereit, ihm gehorsam zu sein. Die Medien übertragen immer wieder Bilder von Männern, die in ihrer Moschee niederknien und zu Gott beten; diese Männer schämen sich ihrer inneren Ausrichtung auf ihren Gott Allah nicht. Muslime verstehen oft Menschen nicht, die in der bewussten Ablehnung Gottes leben. Christen sollen und dürfen Muslime vor allem als Menschen ansehen, die Gott geschaffen hat und die er liebt. Wir sollen ihnen zuhören und sie verstehen. Christen können eine gegenseitige Achtung und Wertschätzung aller nur begrüßen. Muslime, die in die Länder des Westens kommen, sollen hier nicht nur Menschen mit einem müden Glauben und halbleere Kirchen sehen; es gibt auch ansprechende, gefüllte Gottesdienste und bewusste Christen.

Ich wünsche unserem Land bald eine Diskussion, in der es um die Fragen geht: Welche Bedeutung hat die Zugehörigkeit zur Familie für die seelische Gesundheit eines Menschen? Wie steht es unter uns Menschen mit der Scham? Welche Rolle spielt das grundlegende Buch meiner Religion und wie intensiv will es von mir gelesen und beachtet sein, sei es das Alte und Neue Testament der Christen oder der Koran der Muslime? Und: In welcher Weise haben Menschenrechte im Gottesrecht ihre Wurzeln?

Aus allen Nationen, Stämmen, Völkern und Sprachen

Drittens: Es gehört von Anfang an zum Wesen christlicher Gemeinden, dass in ihnen Menschen aus unterschiedlichen Ländern zusammenfinden. Jesus und seine Jünger waren Juden, Orientalen; Paulus war Jude und römischer Staatsbürger; viele seiner Gemeinden lebten in Kleinasien, in der heutigen Türkei; der Kirchenvater Augustin war Nordafrikaner, Kaiser Karl Franke, Martin Luther Thüringer, usw. Wir haben in der weltweiten Christenheit eine Taufe, eine Bibel, einen gemeinsamen Herrn. Das, was vor 80 Jahren die „Deutschen Christen“ wollten, war ein schrecklicher Fehlweg. Vor 37 Jahren wurde ich bei einem Vortrag auf einer internationalen Konferenz in der Schweiz auf drei Verse am Ende der Bibel hingewiesen: „Die Völker werden wandeln in ihrem Licht; und die Könige auf Erden werden ihre Herrlichkeit in sie bringen. Und ihre Tore werden nicht verschlossen am Tage; … Und man wird die Pracht und Herrlichkeit der Völker in das neue Jerusalem bringen.“ (Offb 21,24-26)[1].

Eine großartige Vision! Etwas von dieser Vision verwirklicht sich bereits hier auf der Erde, wo Menschen aus unterschiedlichen Ländern und mit verschiedener Hautfarbe in der Nachfolge Jesu Christi zusammenfinden und eine Gemeinde bilden. Christenmenschen, die dies erlebt haben, können viel zur Integration von Menschen sehr unterschiedlicher Herkunft beitragen.

Zentrale Gewissheiten des christlichen Glaubens

Viertens: Wenn es aber nicht nur um das religiöse Suchen der Menschen geht, sondern um die zentralen Gewissheiten des Glaubens, um die grundlegenden Überzeugungen, zu denen ich aufgrund meines religiösen Fragens gekommen bin, werde ich ganz bestimmt bei dem bleiben, was ich erkannt habe.

Ich glaube, dass der Gott und Vater Jesu Christi jemand anders ist als der Gott Mohammeds. Zu Gott in tiefem Vertrauen: „Abba, lieber Vater“ (Röm 8,15) zu sagen, ist etwas grundlegend anderes, als sich Allah zu unterwerfen. In der Handreichung der EKD steht der Satz: „Die Feststellung des ‚Glaubens an den einen Gott‘ trägt nicht sehr weit.“[2]

Wenn ich wissen will, wer Abraham war und ist, dann lese ich die Abraham-Geschichten im 1. Buch Mose und dazu die Deutungen des Paulus. Hier bin ich an der Quelle. Von einer abrahamitischen Ökumene halte ich nicht viel. Dies schreibe ich, nachdem ich das Buch von Hans Küng über das „Weltethos“ gelesen habe, der hier anders denkt, und mehrere Vorträge zu diesem Projekt vor sechs Jahren in unserer Stadt gehört habe[3].

Wenn ich mir vor Augen führen will, wer Jesus Christus war, ist und bleibt, dann lese ich ein Evangelium und gebe mich nicht mit den dürftigen Bemerkungen des Korans zufrieden[4]. Es gibt keine Überbietung dessen, was Gott in Jesus Christus geoffenbart hat.

Außerdem: Jesus ließ sich für seine Sache selbst zu Tode bringen, kreuzigen. Er ist der „treue Zeuge“; Johannes der Täufer, Jesus von Nazareth und Stephanus sind die wahren Märtyrer. Sie haben keinem Menschen etwas zu leide getan und waren bereit, ihr Leben hinzugeben für die Wahrheit, die sie verkündigten.

Muhammad dagegen hat andere für seine Sache zu Tode bringen lassen. Es waren nicht wenige! Muhammad war bekanntlich nicht nur Verkündiger einer neuen Lehre; von 622 an war er auch Gesetzgeber und Feldherr. Arnold Angenendt, ein katholischer Kirchenhistoriker aus Münster, schreibt zu dem oft übersehenen Unterschied zwischen Islam und Christentum: „Christus lehrte und lebte Gewaltlosigkeit bis zur letzten Konsequenz, dem Tod am Kreuz; Muhammad dagegen griff für die Sache Gottes zum Schwert und führte einen erfolgreichen Kampf bis zur völligen Unterwerfung der riesigen arabischen Halbinsel.“[5] Viele in seiner Nachfolge haben Gewalt und Schrecken verbreitet, bis hin zu dem vor fünf Jahren aufgespürten und getöteten Usama bin Laden in Pakistan und bis hin zu Gaddafi in Libyen. Für einen Christenmenschen ist ein Märtyrer jemand, der gewaltfrei lebt und der bereit ist, sein Leben als Zeuge Jesu hinzugeben. (in den Medien: ein völlig verwässerter Begriff!) Hinter den klar geäußerten Anspruch Jesu: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich!“ (Joh 14,6) gehe ich nicht zurück.

Bereit zum ehrlichen Dialog

Fünftens: Ein nicht aufhörender Dialog zwischen Menschen unterschiedlichen Glaubens und ganz verschiedener Weltanschauung ist heute und in Zukunft nötig. Ich möchte bereit sein, dazuzulernen und jedes Vorurteil, das sich bei mir gebildet hat, zu überprüfen und zu korrigieren[6]. Aber ich bin auch davon überzeugt, dass es einem ernsthaften Muslim im Gespräch mit anderen Menschen im Tiefsten um die Einladung an jedermann geht, seinen – in seiner Sicht – einzig wahren und allem überlegenen Glauben anzunehmen, um die Da’wa[7]. Und natürlich geht es uns Christen darum, dem Missionsauftrag Jesu (Matth 28,18-20; Apg 1,8) Folge zu leisten und andere, viele andere zu gewinnen. Hier muss in Liebe und Freiheit um die Wahrheit gerungen werden. Ein Wettstreit!

Christliche Feste, christliche Symbole und die Besonderheiten des christlichen Glaubens sind nicht folkloristische Accessoires bestimmter Länder oder Regionen, wie der Schottenrock im Norden Groß-Britanniens, das Dirndl in Österreich und der Sombrero in Mexiko, mit denen es jeder so halten kann, wie er will. Christliche Feste und Symbole sind Zeichen tief verwurzelter Glaubensüberzeugungen, die den Menschen Orientierung im Leben und im Sterben geben. Wenn man einen Weihnachtsbaum aufstellt, Geschenke verteilt und „O Tannenbaum“ singt, feiert man noch lange nicht Weihnachten.

Bei dem Ringen um die Wahrheit des Glaubens und um den Weg zum ewigen Heil aber können weder Politiker noch Soziologen Wortführer und Wegweiser sein. Sie haben allenfalls eine Aufgabe wie die des Linienrichters und des Schiedsrichters beim Fußballspielen. Sie müssen die Fahne heben oder die Trillerpfeife blasen, wenn bei diesem Wettstreit gefoult, also Zwang und Gewalt ausgeübt werden und es die religiösen Eiferer nicht selbst merken. Allerdings sind die Muslime in der Bundesrepublik Deutschland neben den katholischen, evangelischen und orthodoxen Christen und den viel zu vielen Agnostikern inzwischen so zahlreich (4,9 Mill.), dass sie gleichsam nicht mehr in der Regionalliga unter „ferner liefen“ spielen, sondern in der Bundesliga voll dabei sein wollen. Wo aber in religiösen und weltanschaulichen Fragen körperliche Gewalt ausgeübt wird, da haben Vertreter aller Religionen und Weltanschauungen gegen solchen Terror zusammenzustehen, gewaltfrei gegen ihn Stellung zu nehmen und so dem Staat zur Seite zu stehen.

Der „Leib Christi“ und die „Umma“ der Muslime

Sechstens: Wo wir alle miteinander ein immer größeres Miteinander von Juden, Christen, Muslime und Vertretern noch anderer Religionen und Weltanschauungen erleben, da tun wir gut daran, vor Augen zu haben, dass immer und überall die Weltgemeinschaft der Juden, die Gemeinde Jesu Christi in allen Völkern und Nationen (= der „Leib Christi“), die internationale Gemeinschaft der Moslems (= die „Umma“) und das globale Miteinander der Atheisten im Spiel sind.

Gerade wenn wir dies im Blick haben, ist es erschreckend, in wie vielen Ländern gerade Christen und Christinnen von muslimischen Regierungen und muslimischen Einzeltätern unterdrückt, verfolgt und hingerichtet werden[8]. Fast jeden Tag berichten die Medien davon. Wer hier in der Bundesrepublik Deutschland wohnt, also auch hier das Glück der Glaubensfreiheit erlebt und in einem dieser islamischen Länder seine Wurzeln hat (oder gar wie die Imame der DITIB von der türkischen Regierung geschickt worden sind), hat in seinem Ursprungs- und Herkunftsland für die volle Religions- und Meinungsfreiheit der Menschen einzutreten.

Ich kenne einen Christen hier in Deutschland, der aus einem arabischen Land kommt, hier zum Glauben an Jesus Christus fand, hier Vorträge hält und Bücher veröffentlicht, aber seinen ursprünglichen Namen und sein Herkunftsland nicht preisgibt, aus Angst, dass seine Herkunfts-Familie ihm nach dem Leben trachtet. Insgesamt sind die Christen die Religionsgruppe, die weltweit am stärksten bedrängt und verfolgt wird.

Späte Einsicht: Wir sind ein Einwanderungsland!

Siebtens: Nach diesen sechs Punkten, die die Kirchen betreffen, nun einige Punkte, die die Gesellschaft und den Staat betreffen. Es wird schon so sein, dass sich die Politik, besonders die CDU, erst spät dazu entschlossen hat, zu sagen: Wir sind in Deutschland ein Einwanderungsland! Man kann dies als ein Versäumnis ansehen, darf aber zugleich nicht vergessen: Die Bundesrepublik Deutschland hatte von ihrer Entstehung an alle Hände voll damit zu tun, die aus den Kriegsgefangenen-Lagern entlassenen Soldaten der Wehrmacht, dazu die etwa 12 Millionen Vertriebenen aus den Ostgebieten aufzunehmen. Sie alle mussten integriert werden, was ihr ausgesprochen gut gelungen ist. Dazu kamen in den 80er Jahren die Russlanddeutschen. Dann folgten 1989 die Öffnung der Berliner Mauer und 1990 die Wiedervereinigung, dieses großartige Geschenk an unser Volk. Diese Wende verdanken wir unerschrockenen Menschen und dem wunderbaren Handeln Gottes in der Geschichte.

In den 90er Jahren brachten bestimmte Kreise unter den Politikern den illusionären Zielbegriff auf: Wir wollen eine „multikulturelle Gesellschaft“ sein. Ich befürchte, manch einer hat dieses Ziel auch deshalb so lautstark propagiert, damit der Einfluss von Christen in unserem Land zurück gedrängt wird.

Erst vor wenigen Jahren gestanden sich viele, auch die konservativen Kräfte, ein: Wir sind darauf angewiesen, dass Menschen aus anderen Ländern zu uns kommen und sich hier integrieren. Die hier in Deutschland angestammte Bevölkerung schrumpft zusehends. Es ist an der Zeit, in der Politik seine Zielvorstellungen neu zu bestimmen. Deutschland soll bewusst ein weltoffenes Land sein und Menschen aus anderen Kulturkreisen, die hier ihre Eigenheit und ihre Fähigkeiten einbringen können, willkommen heißen. Dazu kommt, dass der Art 16a des GG festgeschrieben hat, dass Deutschland Asyl gewährt.

Jüdisch-christliche und griechisch-römische Wurzeln

Achtens: Ich weiß es zu schätzen, dass viele der Väter und Mütter des Grundgesetzes damals 1949 und viele der Politiker danach mit den großen Kirchen partnerschaftlich, ja, freundschaftlich zusammengearbeitet haben und eine intensive Zusammenarbeit bewusst wollten. Hier zeigt sich, dass unser Gemeinwesen von der jüdisch-christlichen Tradition und aus der griechisch-römischen Antike her lebt. Theodor Heuß hat es 1950 Schülern folgendermaßen erklärt: „Es gibt drei Hügel, von denen das Abendland seinen Ausgang genommen hat: Golgatha, die Akropolis in Athen, das Capitol in Rom. Aus allen ist das Abendland gewirkt, und man darf alle drei, man muss sie als Einheit sehen.“[9]

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gilt!

Neuntens: Wir haben als Bürger unseres Landes gegenüber allen bei uns eingewanderten Menschen selbstverständlich unser Grundgesetz zu verteidigen und die bei uns entwickelten Rechte durchzusetzen. Und doch ist Achtsamkeit geboten. Viele der unter uns wohnenden Moslems sagen inzwischen: Wir sind bereit, das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland anzuerkennen. Noch machen sie in unserer Bevölkerung etwa 5,3 % aus. Was werden sie sagen, wenn die Zahl der Moslems zunimmt und 8,10,12 % der Bevölkerung sich zum islamischen Glauben bekennt, sie also ein Faktor von großem Gewicht im politischen Kräftespiel sein werden? Auf welche Art und Weise werden sie dann Religionsfreiheit für sich in Anspruch nehmen und anderen gewähren? In welcher Weise werden sie dann Riesen-Moscheen bauen wollen, von den Minaretts, durch Lautsprecher verstärkt, ausrufen lassen: „Allah ist größer; ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer Allah!“? In welcher Weise werden sie dann auf die Scharia, auf die islamische Gesetzgebung zurückgreifen?

Von keiner Seite darf übersehen werden, dass es mitten in der Bevölkerung viele gibt, die Angst vor dem politischen Islam, vor dem Islamismus, haben, übrigens auch Muslime selbst. Und ist nicht Europa für Muslime, die sich die Ausweitung des Islam wünschen, heute besonders anziehend? Ist es nicht für junge Menschen mit islamischer Herkunft, die im Leben etwas erreichen wollen, besonders erfolgversprechend? Es gibt Stimmen, die sagen, nach zwei Weltkriegen seien die Europäer des Kämpfens müde geworden und verteidigten ihre Werte nur noch halbherzig.

Von den Anfängen an, seitdem Muhammad in Medina seine Herrschaft auf- und ausbaute, sind im Islam Religion und Politik eine Einheit. Seit 622 ist das Auftreten Muhammad mit Schlachtenlärm und Kriegsgeschrei verbunden. Muhammad hat eine Glaubensbewegung ausgelöst, er richtete aber zugleich ein weltliches Reich auf.

Dies ist bei den Anfängen der christlichen Gemeinden unter der Leitung des Herrn Jesu Christi und seiner Apostel ganz und gar nicht der Fall. Ganz betont bekannte Jesus vor dem römischen Statthalter Pontius Pilatus: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ (Joh 19,36) Bewusst ging er den Weg der Gewaltlosigkeit. Was er bewirkte, geschah in der Kraft seiner Liebe, durch sein Wort und auf dem Weg des Friedens.

Christen dürfen dies allerdings nur herausstellen, wenn sie sich und anderen zugleich eingestehen, dass zu der Zeit, als Muhammad im Nahen Osten Christen kennenlernte, die „Ehe“ zwischen Kirche und Staat unter Konstantin – er regierte von 306 bis zu seinem Tode 337 als Kaiser im römischen Reich – längst geschlossen war. Muhammad und diejenigen, die ihm folgten, hatten eine Verquickung von Christentum und römischem Kaiserreich vor Augen, die heute hoffentlich bald überwunden sein wird. Jahrhundertelang gehörte die Verschmelzung von Glaube und Staat zum Erbgut der christlichen Kirchen in den europäischen Ländern. Aber sie gehört nicht zu dem Samen des Wortes Gottes, den der Gottes- und Menschensohn Jesus Christus ausgestreut hat und den er hat aufgehen lassen.

Mein Wunsch als Bundesbürger ist es, dass die Bundesrepublik Deutschland ein stabiler Staat bleibt, eingebettet in der Europäischen Union, dass wir als Bürger dieses Staates entschlossen an den hier in der Mitte Europas entfalteten Werten festhalten, dass wir uns an dem hier gewachsenen Leitbild orientieren und uns für diese Werte in unseren Beziehungen zu anderen Staaten einsetzen.

Mein Wunsch als Christ ist es, dass sich in der Bundesrepublik und in ihren Kirchen überraschend viele Menschen, ganz gleich, wo sie ihre Wurzeln haben, in die Grundlagen christlichen Glaubens vertiefen, aus den uns in der Bibel eröffneten Quellen schöpfen und Jesus Christus, den guten Hirten und Herrn der Welt, entdecken. Und ich wünsche es mir, dass Menschen aus anderen Ländern hier bei uns christliche Gemeinden mit Ausstrahlung treffen und sich davon beeindrucken lassen.

Dann können sowohl die christlichen Kirchen in unserem Lande als auch unser Staat, die Bundesrepublik Deutschland, weltoffen und einladend sein für Menschen aus aller Herren Länder.

Hartmut Frische, Pfr., 32427 Minden
(Dies Referat wurde ursprünglich in den Jahren 2011/12 formuliert.)

[1] Donald A. McGavran, The Dimensions of World Evangelization, in: Let the earth hear his voice, International Congress on World Evangelization Lausanne, hg. v. J. D. Douglas, Switzerland, Minnesota, USA, 1985, S. 95 -107, S. 96

[2] Klarheit und gute Nachbarschaft, Christen und Muslime in Deutschland, eine Handreichung des Rates der EKD, herausgegeben vom Kirchenamt der EKD, Hannover 2006, S. 18

[3] H. Küng, Projekt Weltethos, Zürich 2008, 11. Auflage. Vgl. Friedmann Eißler, Abrahamitische Ökumene – eine Option?, theologische beiträge 2005-4, hg. von K. Haacker und H.P. Hempelmann, S. 173-187

[4] E. Troeger, Der Islam bei uns, Ängste und Erwartungen zwischen Christen und Muslimen, Gießen 2007, 10. Kapitel: Der biblische Christus und der koranische Isa, S. 58-62

[5] A. Angenendt, Toleranz und Gewalt, das Christentum zwischen Bibel und Schwert, Münster 2009, 5. Auflage, S. 439, 799 Seiten, ca 20-25,00 Euro

[6] Adel Theodor Khoury: „Trotz vieler Gemeinsamkeiten …widersprechen sich die verbindlichen Lehren des Christentums und des Islams in zentralen Punkten: christlicher Glaube an die Trinität, an die Gottheit Jesu, an seine Erlösungstat; islamischer Glaube an Mohamed als den letzten Prophet mit totalem Anspruch und an den Koran als letztgültige Offenbarung Gottes. Ein offener und geduldiger Dialog kann wenigstens helfen, manche Missverständnisse auszuräumen und eine tiefere Kenntnis der jeweiligen Position zu erreichen.“ Art.: „Islam, theologisch“ in: Evangelisches Staatslexikon, Neuausgabe, hg. v. W. Heun, M. Honecker u.a., Stuttgart 2006, Sp. 1058-1067. Sp. 1066

[7] Der Offene Brief und Appell von 138 muslimischen Theologen an Papst Benedikt XVI. und Vertreter christlicher Kirchen und Glaubensgemeinschaften vom 16.10.2007 ist ein aufschlussreiches Dokument dieser Einladung zum moslemischen Glauben.

[8] Man schlage nur die homepage der Evangelischen Allianz in Deutschland auf und lese dort Woche für Woche die Nachrichten über Christenverfolgungen in aller Welt: http://www.ead.de/akref ! Volker Kauder, MdB, der Fraktionsvorsitzende der CDU, weist unermüdlich auf das hin, was gegenwärtig weltweit geschieht.

[9] Th. Heuß, Reden an die Jugend, Tübingen 1956, S. 25-34: „Lob der Schule“ Rede im September 1950 in Heilbronn, S. 32